Liebe Singende, lieber Singender,
haben Marienkäfer Hemmungen? So wie ich sie beim Fotografieren wahrnehme, kennen sie diese spezielle Gefühlslage wohl eher nicht, denn selbst beim Vermehren des Glücks ließen sie sich von der Kamera überhaupt nicht stören. Nein, mit Hemmungen müssen sie sich nicht herumschlagen - sie gehen ihren Geschäften wie krabbeln, fressen, fliegen oder fortpflanzen gänzlich unbeeinflusst von irgendwelchen hemmenden Energien nach, selbst wenn sie dabei beobachtet oder gar fotografisch festgehalten werden.
Das ist bei uns Menschen doch ganz anders gelagert, bestimmt kennt jede Person Situationen, in denen sie sich gehemmt fühlt und Singen gehört in der Kategorie der gehemmten Tätigkeiten bei vielen Menschen ganz oben auf die Liste.
Auch ich hatte, trotz meiner frühen, großen Liebe zum Singen, mit diesem Gefühl zu kämpfen, vor allem wenn es darum ging, alleine ein Lied zum Besten zu geben. Da konnte ich die Röte im Gesicht förmlich spüren und die Angst, mich zu blamieren, brachte den ganzen Bauchraum in Aufregung! Selbst, wenn ich ein Lied richtig gut konnte, spätestens mit der Hemmung und der Aufregung beim Vorsingen blieb von meiner normalen Stimme dann ein kümmerlicher, teilweise zitternder Rest übrig und das machte sich zusätzlich bei der Sauberkeit der Tongebung ungünstig bemerkbar. So habe ich es, wann immer möglich vermieden, mich dieser höchst unangenehmen Situation auszusetzen! Zum Glück macht Singen im Chor ja auch große Freude und in einer Menge Singender hatte ich in der Regel keine Ängste, doch wehe, jemand erwähnte in diesem Zusammenhang das Wort "Vorsingen"!
Wieso haben so viele Menschen im Zusammenhang mit der Singstimme diese Hemmung? Wie viele versagen sich den Gesang komplett, weil sie damit einmal schlechte Erfahrungen gemacht haben, obwohl sich jemand, der in Mathe mal eine ungenügende Note eingefangen hat, doch auch nicht komplett mit dem Rechnen aufhört. Beim Singen herrschen da irgendwie andere Gesetze, Fehler oder die fehlende Perfektion führen in diesem Feld ganz schnell zum totalen Verzicht und dem strikten Ablehnen des eigenen Gesangs. Das ist sehr schade, denn irgendwie gehört das Singen zu uns Menschen, fast wie das Essen, Schlafen, Lachen und Bewegen und es darf und kann eigentlich nicht sein, dass diese von Natur aus in jeder Person vorhandene Anlage wegen einer abwertenden Bemerkung oder wegen eigener Hemmungen plötzlich komplett vergraben wird, denn Singen ist ein fantastischer Zugang zu unserer Gefühlswelt und zum gesamten Körper und dessen achtsamer Wahrnehmung. Deswegen lohnt es sich, auf jedem sängerischen Niveau sich liebevoll mit seiner Singstimme zu beschäftigen und störende Hemmungen abzubauen. Ganz egal, wie groß deine Ambitionen sind, selbst wenn du einfach für dich singst, lohnt sich ein freierer Umgang mit deiner Stimme, weil du dadurch mehr ins Schwingen und Genießen kommen kannst. Suche dir also eine Umgebung, in der du erstmal ganz geschützt klingen darfst und höre dir einfach zu, ganz ohne zu werten. Sei voller Neugierde und mit offenen Ohren und lass dann unbedingt den ganzen Körper mit in den Ausdruck gehen. Schaue dir zu und nimm einfach nur wahr, wie du im momentanen Zustand gerade klingst, wie sich dazu dein Körper anspürt und welche Gedanken aufkommen, halte nichts fest und komm dadurch in den klingenden Flow!
herzlich, Heidi
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