Heidi Heinrich Vita lang
Meine schöne Kindheit verbrachte ich in einem kleinen Dorf in der Schweiz. Daran gibt es unzählige wertvolle Erinnerungen an Naturerlebnisse. Auch Veranstaltungen oder Anlässe, wo gesungen wurde, sind stark und emotional im Gedächtnis verankert, vor allem, wenn der Gesang mehrstimmig war, konnte er mich tief berühren und erfreuen. Das Gefühl von wohltuender Gemeinschaft verbinde ich seit meiner Kindheit mit gemeinsamem Singen. Gerne wollte ich deswegen bereits als Kind Gitarre spielen lernen, weil man dazu einfach so gut singen kann. Leider war aber meine Angst vor den Konzerten der Musikschule so groß, dass ich diesen Wunsch erstmal an den Nagel hing.
Bei meiner Berufswahl spielte dann Musik wieder eine entscheidende Rolle, denn in der Ausbildung zur Grundschullehrerin erfreute sich dieses Fach damals als Schwerpunkt. So standen Chorgesang, das Lernen eines Instruments und eine allgemeine Musikausbildung im wöchentlichen Stundenplan und bildeten damit einen musischen Schwerpunkt zwischen den vielen anderen Grundschulfächern. Nun konnte ich endlich Gitarre spielen lernen, um mein Singen zu begleiten, ohne regelmäßig vorspielen zu müssen! Der große Chor ermöglichte es mir, die Freude des mehrstimmigen Gesangs auszuüben, ohne mich exponieren zu müssen und das genoss ich in vollen Zügen! Die Chorwochen, in denen fünf Tage nur gesungen wurde, gehören zu den nachhaltigsten Erfahrungen meiner Zeit am Lehrerseminar.
Ein Heim für verhaltensschwierige Kinder war meine erste Arbeitsstelle, wo mir das gemeinsame Musizieren auf der Wohngruppe viele schönen Erlebnisse mit den Kindern bescherte und klar machte, dass Musik auch in schwierigen Verhältnissen verbindenden Charakter hat.
Im Jahre 2003 zog ich um eine Familie zu gründen nach Deutschland.
Drei Kinder erblickten dort das Licht der Welt. Während dieser eher häuslichen Zeit unterrichtete ich meine ersten Schülerinnen und Schüler in Gitarre, wobei mir die Vermittlung der Freude an Musik stets wichtiger war als die Leistung, und es zeigte sich, dass die Idee, vor allem Liedbegleitung anzubieten, viele ängstliche Kinder und Erwachsene ermunterte, sich an ein Instrument und ans Singen zu wagen.
Bald fand ich zusätzlich ein familienkompatibles, neues musikalisch-pädagogisches Betätigungsfeld. Mit großer Begeisterung habe ich für das Projekt "Singende Kindergärten" in Frankfurt gearbeitet und ich bot aufgrund der tollen Erfahrungen und der Wahrnehmung der Notwendigkeit von mehr Musik in den Kindertagesstätten, einen "Singen und Springen-Kurs" für die Kinder verschiedener Kitas an.
Mit dem Heranwachsen meiner Kinder wurde der Wunsch, mehr Musik unter die Menschen zu bringen immer stärker und ich kehrte zu meinen Leherinnenwurzeln zurück und unterrichte seit 2012, als Teilzeitkraft an der Grundschule. Hier wurde mir nochmals sehr deutlich gemacht, dass die Musik in pädagogischen Einrichtungen unbedingt der Pflege und vermehrter Aufmerksamkeit bedarf!
So war es eine glückliche Fügung, dass ich eine Anfrage Weiterbildungskurse für Erzieherinnen der katholischen Kitas in Wiesbaden bekam, um die Erzieherinnen ganz spezifisch für das Gitarrenspiel mit Kindern zu unterrichten.
Natürlich blieb bei soviel positiven pädagogischen Musikerfahrungen das Bedürfnis nach der eigenen musikalischen Weiterentwicklung nicht aus. Dieser ging ich vorerst mit privatem Gitarrenunterricht und Gesangsunterricht nach. Später folgte das Mitsingen in verschiedenen Chören und eine sehr inspirierende Weiterbildung namens "Primacanta".
Ein besonderes Ereignis stellte für mich die Gründung eines Gesangstrios 2018 dar, in dem ich die Sopranstimme ganz alleine zu bestreiten hatte. Die große Freude am mehrstimmigen Singen war seit meiner Kindheit sozusagen als roter Faden präsent und erreichte in diesem Kleinstensemble einen Höhepunkt. Allerdings trug ich auch das unangenehme Gefühl etwas falsch zu machen, schlecht zu klingen oder die Töne nicht sauber zu treffen, stets mit mir herum und die Vorstellung, mich als Sängerin zu exponieren löste große Angst und tiefe Unsicherheit aus und ich drückte mich immer davor, dieses Thema anzugehen. Je länger, je mehr merkte ich jedoch, dass mich diese Auftrittsangst hinderte, mit meiner Stimme weiter zu kommen. Als ich dann einen Gutschein für Gesangsunterricht geschenkt bekam, entschloss ich mich, mich mit dem Thema der Singängste auseinanderzusetzen. Schrittchen für Schrittchen traute ich mir mehr zu und schließlich schaffte ich es tatsächlich, mit dem Trio nicht ausschließlich aus Spaß zu üben, sondern erfolgreich öffentlich aufzutreten. Daraus hat sich inzwischen eine gesungene Andacht für drei Stimmen, die monatlich stattfindet, entwickelt.
Die Zeit des Lockdowns verhalf mir zu einer weiteren Befreiung meines Singens, denn ich entdeckte "STIMMSINN". Das ist eine sehr achtsame und körperbezogene Stimmbildung, die mich sofort ansprach, weil sie mich beim Singen endlich und gründlich aus dem Kopf und in den Körper holte. Das Pünktchen auf dem "i" dabei war jedoch, dass damit zwei meiner wesentlichen Herzensangelegenheiten zusammen geführt wurden, nämlich das achtsame Yoga und der Gesang, und ich merkte, wie wunderbar die beiden Themen sich fördern und ergänzen können.
Für beide ist zwar Hintergrundwissen von Vorteil, aber das Wesentliche spielt sich beim achtsamen und liebevollen Praktizieren ab. Sobald ich meine ganze Wahrnehmung auf das lege, was ich gerade mache, bekomme ich beispielsweise Zugang zum physischen Wissen. Da Singen ein natürlicher, körperlicher Vorgang ist, ist es von Vorteil, den Experten dafür, also den Körper, mit ins Boot zu holen. Faszinierenderweise ist Gesang jedoch nicht ausschließlich auf der physischen Ebene anzusiedeln, deswegen bereichert auch das bewusste Wahrnehmen von Emotionen und Gedanken den eigenen Klang. Der meditative Aspekt aus dem Yoga hilft mir zum Beispiel, was die Ängste betrifft weiter zu kommen.
Es war ein langer, aber trotzdem schöner, singender Weg, bis ich mich endlich traute, meine Leidenschaft für die Singstimme als "Einzelsängerin" öffentlich zu zeigen und natürlich habe ich dieses Thema nicht endgültig abgeschlossen! Aber ich bin jetzt an einem Punkt, wo ich anderen Menschen die Singhemmungen haben, gerne die Lebensfreude, die in der eigenen Singstimme stecken kann, wecken möchte. Personen, die gerne singen und sich nicht trauen, gibt es auf jeden Fall (zu) viele und vielleicht ist der Weg über einen achtsamen, körperbezogenen und spielerischen Umgang mit der Singstimme für einige genau der richtige!